Wie man ein Motorrad richtig lenkt

Befassen wir uns nun mit einer der paradoxen Seiten des Motorrad fahrens - dem Lenken. Warum es sich hierbei um eine paradoxe Sache handelt werden wir gleich genauer betrachten. Aber zuerst ein kleiner Rückblick zu unseren Anfängen als Zweiradartisten:
Die “Bikerkarriere” beginnt eigentlich bei fast allen gleich mit folgenden Stufen: Bobby Car/Dreirad/Tretauto - Fahrrad - Moped - Motorrad. Dabei ist der Schritt von den mehrspurigen Fahrzeugen (Bobby Car, Dreirad und Tretauto) zum Fahrrad die größte Umstellung. Vom Fahrrad zum Motorrad ist es fahrtechnisch dann kein großer Unterschied mehr.
Was macht nun den Umstieg von drei oder vier auf zwei Rädern so schwer? - Es ist das Lenken! Aber warum?

Lenkvorgang beim Dreirad
Bei einem Dreirad/Tretauto wird gelenkt wie bei einem „echten” Auto: Ich bewege den Lenker (das Lenkrad) in jene Richtung, in welche ich fahren will. Will ich nach rechts, lenke ich auch nach rechts. Dann erfolgt der Umstieg auf das Fahrrad - und damit beginnen die Probleme.

Lenkvorgang beim Zweirad
Das hier Gesagte gilt sowohl für das Fahrrad als auch für das Motorrad in gleichem Maße.
Wenn ein Kind mit dem Fahrrad zu fahren beginnt, passiert es sehr häufig, dass es vom rechten Weg abkommt. Statt um die Kurve zu fahren fällt es davor in der anderen Richtung in einen Busch usw. Sind an dem Rad Stützräder befestigt, so passiert es sehr oft, dass zur Kurvenfahrt das Fahrrad auf das innere Rad angelehnt wird und somit eigentlich wieder ein Dreirad entsteht. Dann wird der Lenker in die gewünschte Richtung eingeschlagen.
Sobald die Stützräder aber weg sind, passieren wieder die Unfälle und die Eltern sind am verzweifeln („Gerade hast du es doch können, warum fährst du jetzt auf die falsche Seite?”). Ja liebe Eltern, das Kind kann da nichts dafür. Die meisten Eltern glauben, das passiert, weil das Kind noch nicht die Balance halten kann. Vielmehr rührt es aber daher, dass Fahrräder und Motorräder anders gelenkt werden wie etwa ein Dreirad - und das Kind ist noch das Lenken vom Dreirad (oder Tretauto) gewohnt. Aber bald schon lernt das Kind, auch auf dem Fahrrad die Kurven richtig zu fahren. Und zwar völlig automatisch (auch später mit dem Moped und dann dem Motorrad). Da das Lenken automatisch (= ohne Nachdenken) passiert, wollen wir hier einmal betrachten was da eigentlich vor sich geht.

Was macht die Umstellungsschwierigkeiten?
Die Erklärung dieses Phänomens verwundert fast alle. Auch viele langjährige BikerInnen schütteln darüber den Kopf und halten es für einen ausgemachten Blödsinn. Erst wenn man es ihnen genau erklärt - und sie dann das Gehörte ganz bewusst beobachten - kommen sie darauf, dass es doch stimmt. Sprechen wir nun vom Motorrad (auch wenn das Folgende im Prinzip für alle einspurigen Fahrzeuge gilt):
Viele sind der Meinung, dass sie durch ihre Gewichtsverlagerung das Motorrad in die Kurve legen. Auch glauben sie, dass die Lenkbewegung die Selbe ist, wie etwa beim Auto. Das ist aber grundlegend falsch:
Um mit dem Motorrad eine LINKSkurve zu fahren, erfolgt ein Lenkeinschlag nach RECHTS!

Das heißt, es wird entgegengesetzt(!) gelenkt. Und dieses „Gegenlenken” ist die einzige adäquate Möglichkeit, ein Motorrad entsprechend kontrolliert zu steuern. (Ich will hier nicht auf die physikalische Grundlage dieses Phänomens eingehen, wie sich dadurch der Schwerpunkt verschiebt usw. Das würde hier zu weit führen. Auch nicht auf den Umstand, dass bei sehr geringen Geschwindigkeiten dieses Phänomen nicht so recht zum Tragen kommt). In der Regel ist es einfach so, dass gegengelenkt wird, um das Motorrad in die gewünschte Schräglage zu bringen.

In die Kurve einlenken
Du ziehst am Beginn der Kurve den Lenker entgegen der zu fahrenden Richtung - oder du drückst ihn in die Fahrtrichtung (was ebenfalls einen Lenkeinschlag in die Gegenrichtung zur Folge hat!). Dadurch neigt sich das Motorrad auf die richtige Seite in die Kurve. Das passiert nun nicht durch Gewichtsverlagerung, wie viele glauben! Bei einer Rechtskurve legt man sich nach rechts. Da man sich dabei am Lenker festhält zieht man automatisch am linken Lenker (was einem Einschlagen nach links gleichkommt!). Dadurch kippt das Motorrad nach rechts. Das ganze funktioniert nur, wenn du den Lenker dabei hältst. Eine Gewichtsverlagerung alleine würde das nicht ausreichend bewirken!
Solange du nun am Lenker ziehst (oder drückst) wird sich das Motorrad immer weiter zur Seite neigen und somit stärker in die Schräglage gehen. Wenn du nun zu ziehen/drücken aufhörst, verbleibt es in dieser Schräglage, ohne zusätzlichen Kraft- oder Arbeitsaufwand. Sich in Kurven am Lenker anzuklammern ist also zusätzliche Arbeit, die gar nicht nötig ist.

Das Motorrad aus der Kurve bringen
Am Ende der Kurve muss das Motorrad wieder aufgerichtet werden. Dazu wird am kurveninneren Lenker gezogen (am äußeren zu drücken wäre theoretisch auch möglich. Aber wer hat schon so lange Arme, dass er links neben dem Bike einen Knieschleifer macht und dann noch den rechten Arm strecken kann?). Schon stellt sich das Motorrad wie von selbst wieder auf (probier das einmal bewusst aus - ist eine tolle Erfahrung).

Ausweichen
Hier mache ich eine weitere Behauptung, die viele überraschen wird. Nichts desto Trotz trifft sie voll zu: Ein Motorrad braucht beim Ausweichen mehr Platz als ein Auto (ab einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h)!

Tja, das klingt auch etwas verrückt (wie viele Dinge beim Biken) läßt sich aber auch erklären. Der Grund sind die Kreiselkräfte. Diese neigen dazu, das Bike in der momentanen Lage zu halten (und diese sind auch der Grund warum das Bike, wenn es einmal fährt, eigentlich recht stabil ist. Du hast sicher schon bei einem Motorradrennen nach einem Sturz beobachtet, wie das Bike alleine über alle Unebenheiten hoppelt und trotzdem die Spur hält). Es ist also ein relativ großer Aufwand an Zeit notwendig, dem Bike eine andere Richtung zu geben - und mehr Zeit bedeutet automatisch mehr Wegstrecke, die zurückgelegt wird - alles klar?!
Auch hier empfiehlt sich ein ständiges Üben (Slalomkurs auf einer gesperrten Fläche) um die Eigenheiten seines Bikes besser kennen und beherrschen zu lernen.

Übungen
Um dir dieses Phänomen des „Gegenlenkens” richtig bewusst zu machen, kannst du folgendes machen: Auf einem freien (Park)Platz freihändig fahren. Probiere dann einmal das Motorrad alleine durch Gewichtsverlagerung zu lenken. Je langsamer du fährst, desto eher wirst du das Motorrad vielleicht in die eine oder andere Richtung bewegen können. Aber nur sehr langsam und unkontrolliert. Du wirst schnell merken, dass so ein kontrolliertes Lenken (im eigentlichen Sinn) unmöglich ist.

Leg dich dann in eine Kurve und zieh einen Kreis. Solange du nicht am Lenker ziehst/drückst, wirst du in der gleichen Schräglage im Kreis fahren. Wenn du das Motorrad aufrichten willst, zieh bewusst am inneren Lenkerende (dadurch wird der Lenker noch mehr in die Fahrtrichtung eingeschlagen!) und beobachte einmal was geschieht.
So, nun weißt du, wie man mit dem Motorrad in eine Kurve lenkt. Wir treffen uns gleich beim Kapitel Kurventechnik. Da erfährst du dann, wann du in eine Kurve einlenkst.